Von Midges und Menschen

Wir haben in Schottland zweierlei getroffen, angenehmes und unangenehmes. Wir durften bei einigen Menschen während diesem Monat zu Gast sein, was zu den angenehmen Dingen gehörte. Gleich zu Beginn ein grosses Dankeschön an alle diese Menschen und die wundervolle gemeinsame Zeit.

Auf unserem Weg nach Glasgow waren wir bei meinem Onkel und seiner Familie zu Besuch, welche schon lange in Grossbritannien leben und nun seit einiger Zeit im Süden von Schottland zu Hause sind. Es war wunderschön sich nach all den Jahren zu sehen und Zeit füreinander und gemeinsame Gespräche zu haben. In Glasgow durften wir bei Margot zu Gast sein. Sie hat selbst vor einigen Jahren eine lange Radreise von Neuseeland bis fast zurück nach Schottland unternehmen können und es war spannend wie sich einige Erfahrungen in den unterschiedlichen Ländern deckten. Vor allem die Gastfreundschaft im Iran kam wieder einmal zur Sprache und wie wir diese manchmal einfach als für uns „zu viel“ wahrgenommen haben. Margo hat uns an unserem ersten Radtag aus der Stadt begleitet und uns die schnellsten und einfachsten Wege gezeigt.

Nachdem wir unsere erste Radreise-Gastgeberin verlassen und somit das erste Mal in Schottland wildgezeltet haben, machten wir die Begegnung mit den unangenehmen Bewohnern von Schottland, den Midges. Das sind kleine Insekten in etwa vergleichbar mit Fruchtfliegen, welche wir bei uns kennen. Die zwei Hauptunterschiede sind, dass sie stechen, bzw. beissen und an manchen Orten in unbeschreiblicher Anzahl vorkommen und das vor allem an bedeckten Tagen oder Abenden mit wenig Wind. Genau diese Bedingungen hatten wir an diesem Abend. Wir sassen bei Regen etwas abseits der Strasse, es gab eine Ansammlung von ca. 10 Nadelbäumen, welche uns etwas Schutz vor dem Regen boten um zu kochen. Wir hatten aber keinen Schutz vor den Midges. Unser Insektenschutzmittel schien nicht zu wirken und so sassen wir nicht nur im Regen mit nassen Füssen, sondern auch in einem Schwarm von stechenden Fliegen. Um einigermassen essen zu können sind wir mit dem Essenstopf herumspaziert. Die Midges sind wenigstens langsam und so konnte man ihnen einigermassen entgehen wenn man in Bewegung blieb. Wir erinnerten uns in diesem Moment an eine Aussage von Margot, dass die Midgies schon Urlaube zerstört habe, soweit waren wir zum Glück noch nicht. Ganz in der Nähe war auch eine schottische Familie mit ihren Zelten. Zu unserem Erstaunen hatten sie ebenfalls keinen Insektenschutz dabei, der eine Mann hatte rote zerstochene Beine und auch der Regen schien sie nicht zu beeindrucken, sie sassen draussen, ihr gesamtes Material lag verstreut und die Zelte waren offen.

Wir waren froh durften wir nach dieser ersten Nacht bereits wieder bei Leo zu Gast sein. Er lebt in Oban an der Küste, etwas erhöht, in einem alten ausgemusterten Marinemilitär-Gebäude. Ums Haus verteilt gab es unterschiedliche alte Geräte und Maschinen zu finden und in den zweiten Stock schien man nur über Leitern im Freien zu kommen. Auch eine Glocke konnten wir nicht finden und so waren wir unsicher, ob wir uns nicht im Ort geirrt hatten. Es dauerte jedoch nicht lange da fand uns Leo und nahm uns herzlich in Empfang. Ich würde ihn als vielseitigen Bastler beschreiben, der zudem immer eine spannende Geschichte auf Lager hatte. So genossen wir den Abend zusammen und erzählten uns gegenseitig von unseren Erlebnissen aus dem Leben und unserer Reisen. Wir wären gerne länger geblieben, wollten aber noch so viel mehr von Schottland und den Menschen sehen, dass wir wieder weiterzogen.

Mull und die Küste bis nach Skye

Auf der Insel Mull nahmen wir an einer Bootstour teil und hofften einige Meeresbewohner zu sehen. Leider sahen wir keine Wale, aber kamen in den Genuss von Delfinen und Robben, sowie einem Adler in der Ferne.

Zurück auf dem Festland folgten wir weiter der Küste Richtung Norden und die Strassen wurden zunehmend kleiner. Gerade der Küstenabschnitt südlich von Skye ist wunderschön zum Fahren. Kleine Strassen schlängeln sich abwechselnd durch die Hügel und dem Wasser entlang. Die Strasse ist meistens einspurig mit wiederkehrenden breiten Stellen, um den Gegenverkehr zu passieren oder schnellere Fahrzeuge vorbei zu lassen. Gerade die schottischen bzw. britischen Autofahrer schienen uns aussergewöhnlich geduldig, freundlichen und rücksichtsvoll. Nicht selten wartete ein Auto hinter uns über eine längere Strecke, bis es uns wirklich sicher überholen konnte, ganz im Gegensatz zu unseren Erfahrungen mit Autofahrern in anderen Ländern, eingeschlossen der Schweiz.

Auf Skye gönnten wir uns einen Campingplatz, nachdem unsere zweite Wildzelterfahrung ähnlich mühsam war wie die erste. Wir hatten zwar kaum Regen aber die Midges plagten uns noch immer. Auch das nun lokale Insektenschutzmittel, welches uns empfohlen wurde brachte nicht die nötige Erlösung. Die Viecher schienen noch immer unbeeindruckt. Wir haben bereits mit einigen unterschiedlichen Stechtieren Bekanntschaft gemacht, aber neben ganz ähnlichen Fliegen in Mexiko, waren die Midges die unschlagbar mühsamsten von allen. Wir gaben uns geschlagen und kauften uns Kopfnetze, das einzige was tatsächlich eine grosse Erleichterung bringt. Zudem entschieden wir uns vermehrt auf Campingplätze zu gehen, meistens hatte es dort etwas weniger von ihnen oder einen geschlossenen Raum.

Die Strecke an der Küste im Norden der Insel hat uns noch einmal besonders gut gefallen. Es zieht sich dort ein Gebirge von Süden nach Norden und die Küste ist teilweise steil abfallend und zerklüftet. Auf dieser Strecke fanden wir einen der schönsten Wildcampingspots unserer Reisen. Wir genossen vor allem auch die Tage mit viel Sonne und einem leichten Wind.

Äussere Hebriden

Von Uig aus setzten wir mit der Fähre nach Tarbert über. Wir mussten einen Tag warten, da sie die Fähre zuerst noch reparieren mussten. Wir hatten Glück und konnten unsere Pläne leicht anpassen. Alles in allem schien uns das System mit den Fähren für Radfahrer relativ einfach. Uns wurde von unterschiedlichen Einheimischen versichert, dass wir auch in der Hochsaison keine Reservierung im Voraus brauchen würden, da es immer Platz für Radfahrer habe. Diese Erfahrung haben wir soweit auch gemacht. Jedoch fielen dieses Jahr die Fähren mehrmals aus oder es gab Verschiebungen im Fahrplan, wir wissen jedoch nicht, ob dies auch in anderen Jahren so vorkam.

Die Stecke auf den Äusseren Hebriden war unser Highlight der Reise. Die Strassen sind weitgehend einspurig und wir hatten den Eindruck, dass es meistens nicht viel Verkehr hatte. Die unterschiedlichen Abschnitte waren sehr abwechslungsreich. Die Südküste von Harris war sehr hüglig und felsig. Eine kahle Landschaft mit ihrer ganz eigenen Faszination. Im Norden finden sich immer wieder Abschnitte mit Sandstränden die an die Karibik erinnern. Auf Lewis lassen sich einige Überreste von alten Kulturen und alte Gebäude finden. Auch hier durften wir noch einmal zu Gast sein, dieses Mal bei Barbara. Sie hat sich vor fast 40 Jahren in das Land und Leute verliebt und ist von Deutschland nach Schottland ausgewandert. Es war sehr spannend von ihren Erlebnissen zu hören und auch an ihrem Wissen über das Land teil zu haben.

Assynt und die Nordküste bis nach Inverness

Nach den Äusseren Hebriden fuhren wir die letzten Meilen in den Norden, von Ullapool aus bis zur Abzweigung in Melvich. Im Westen ging die Stecke durch das Assynt, eine sehr berggeprägte Gegend und auch wenn wir oft nicht mehr als einige hundert Meter über dem Meeresspiegel waren fühlte es sich doch teilweise fast hochalpin an. Schon auf den Strecken zuvor mussten wir einige Höhenmeter bewältigen und nun kamen noch einmal viele hinzu. Im Durchschnitt mussten wir auf unserer gesamten Route etwa 1000 Höhenmeter je 100km bewältigen, auf einigen Abschnitten etwas weniger und nun eher einiges mehr. Auch die Nordküste war geprägt von stetigem Auf und Ab. Die Küste wird von mehreren Armen gebildet, welche sich ins Meer hinaus erstrecken und jeden gilt es von Meereshöhe her wieder zu erklimmen, bevor es auf der anderen Seite wieder bergab ging.

Wir entschieden uns, vor allem aus Zeitgründen, nicht die gesamte Nordküste zu fahren und bogen etwas vor John’o‘Groats, des nordöstlichen Punktes, Richtung Süden ab. Wir hatten zuvor wieder etwas regnerische Tage und uns deshalb für einen Campingplatz entschieden um zu duschen und im trockenen essen zu können. Dort trafen wir auf einen jungen Bikepacker, der mit nahezu nichts unterwegs war. Etwas erstaunt stellten wir auch fest, dass er nur mit einem Biwaksack am „Zelten“ war. Er war froh, dass seine Radreise kurz vor dem Ende stand, da er wie er meinte die letzte Woche in Schottland nur eingeregnet und nicht mehr trocken wurde.

Nach einer sehr hübschen und entspannten Strecke Richtung Süden verbrachten wir einige Tage in Inverness bei Mark, unserem letzten Gastgeber auf dieser Reise. Auch bei ihm genossen wir die Zeit mit spannenden Diskussionen, gutem Essen, Bier und Wein. Es war auch schön zu hören, dass er nach einiger Zeit wieder auf sein eigenes Rad gestiegen ist, nachdem ich ihm Platten flicken konnte.

Cairngorms und Abschluss in Edinburgh

Für den letzten Abschnitt, waren wir uns unsicher, welche Strecke wir nach Edinburgh nehmen sollten, es gab für uns vor allem zwei Optionen. Die eine wäre durch ein langes Tal mit Radwegen gewesen, die andere über die Berge durch den Cairngorms Nationalpark. Die Unsicherheit kam vor allem wegen der Differenz der Höhenmeter, welche wir bewältigen mussten. Wir entschieden uns wegen der guten Wetteraussichten die Strecke durch die Berge zu nehmen und wurden nicht enttäuscht. Die Strecke war ein wunderschöner Abschluss. Die Strasse bewegt sich durch eine hüglige Landschaft die in unterschiedliche Grün-, Violett- und Pinktöne getüncht ist.

In Edinburgh erwartete uns wieder der Regen und wir verbrachten viel Zeit in Cafes mit Kuchen. Wir genossen auch noch einmal die lokale Spezialität Fisch und Chips mit Bier bis unsere Bäuche nicht mehr konnten. Daneben schlenderten wir durch die malerische Stadt und genossen noch einmal einfach Zeit zu haben bevor wir mit dem Zug nach Hause fuhren.

Die Zugsituation war auf der Hin- wie auch auf der Rückfahrt etwas unsicher. Zuerst wegen dem heissen Wetter und danach wegen angesagter Streiks. Alles in allem hat es aber wieder geklappt und auch die Räder konnten wir weitgehend problemlos im Fahrradsack kostenlos transportieren. Der Avanti West Coast von London in den Norden bietet sogar kostenlose Fahrradplätze an, so mussten wir die Räder auch nicht demontieren.

Rückblickend sind wir die Midges zwar nicht losgeworden, haben jedoch unseren Weg damit gefunden, auch wenn es vor allem die „Flucht“ auf die Campingplätze war. Wir haben viele spannende und liebe Menschen kennen gelernt – vielen Dank für die Gastfreundschaft – und sind durch eine unglaublich abwechslungsreiche Natur gefahren.

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